19 Oct 2021 • 4 min

Europäische Union: Der Mehrwertsteuer-Wahnsinn

Kassandra Busse
Marketing Managerin
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Nicht erst seit Beginn der Corona Pandemie lässt sich hinsichtlich Mehrwertsteuer feststellen, dass einheitliche Mehrwertsteuerregelungen im europäischen Raum einer Utopie gleichkommen.

So, liebe Freunde unkomplizierter Bürokratie, bildete beispielsweise die temporäre Mehrwertsteuersenkung in Deutschland einen festen Bestandteil des von der Bundesregierung verabschiedeten 130 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaketes zur Entlastung seiner Bürgerinnen und Bürger. Während in der zweiten Jahreshälfte 2020 die Mehrwertsteuersätze bei uns deutlich reduziert wurden (Senkung des Regelsatzes von 19 auf 16 Prozent bzw. Senkung des ermäßigten Satzes von 7 auf 5 Prozent), blieben die Regelsätze unseres europäischen Nachbarn Frankreichs unverändert bestehen. Aber auch in ruhigeren wirtschaftlichen Zeiten, fällt schnell auf, dass in der EU keine einheitlichen Mehrwertsteuerregelungen existieren.

Als Unternehmer im europäischen Umfeld willst Du Dir einen Überblick über die Gesetzeslage der Mehrwertsteuer in der EU zu verschaffen. Welche Arten von Steuersätzen gibt es und wie hoch sind sie in den 27 EU Staaten? Sind die EU-Staaten bei der Festlegung der Umsatzsteuer autark oder an Brüssel gebunden? Was ist umsatzsteuerrechtlich beim Verkauf von Waren und Dienstleistungen ins EU-Ausland oder mit außereuropäischen Drittstaaten zu beachten? All diese Informationen kannst Du dem folgenden Beitrag entnehmen.

Europäische Union: Regelsteuersätze für Mehrwertsteuer

Innerhalb der Europäischen in Union folgt die Mehrwertsteuer einheitlichen Vorgaben.

Alle Mitgliedstaaten müssen einen Regelsteuersatz von mindestens 15 Prozent auf ihre Waren und Dienstleistungen erheben. Nach oben ist keine Grenze vorgegeben.

Für bestimmte Waren und Dienstleistungen können die EU-Länder einen ermäßigten Steuersatz festlegen, müssen sich hierbei jedoch sowohl in der Mindesthöhe als auch in der Auswahl der Waren- und Dienstleistungsgruppen der Richtlinie aus Brüssel folgen.

EU-Staaten oder EEA-Staaten?

Die Europäische Union umfasst 27 Mitgliedstaaten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, die Slowakei, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. All diese Staaten unterliegen folglich den gesetzlichen Mehrwertsteuerbestimmungen der EU.

Norwegen, Lichtenstein und Island bilden gemeinsam mit den EU-Staaten den europäischen Wirtschaftsraum (EWR), auf englisch European Economic Area (EEA). Sie aber hinsichtlich ihrer Mehrwertsteuergesetzgebung weiterhin vollständig autark und können ihre Mehrwertsteuer ohne Beachtung der EU Vorgaben festlegen.

Liste der Steuersätze aller EU-Staaten

Die Steuersätze der EU-Staaten liegen beim Regelsteuersatz zwischen 17 Prozent (Luxemburg) und 27 Prozent (Ungarn). Der überwiegende Teil der Länder bewegt sich in etwa um 20 Prozent.

Die ermäßigten Steuersätze variieren deutlich stärker. In einigen Ländern gibt es bis zu drei unterschiedlich hohe ermäßigte Steuersätze. Auch hier erhebt Ungarn mit 18 Prozent den höchsten Satz aller Mitgliedsstaaten.

Europäische Union: Der Mehrwertsteuer-Wahnsinn

MitgliedCodeStark ermäßigter SatzErmäßigter SatzRegelsatzZwischensatz
BelgienBE-6/122112
BulgarienBG-920-
TschechienCZ-10/1521-
DänemarkDK--25-
DeutschlandDE-719-
IslandEE-920-
IrlandIE4,89/13,52313,5
GriechenlandEL-6/1324-
SpanienES41021-
FrankreichFR2,15,5/1020-
KroatienHR-5/1325-
ItalienIT45/1022-
ZypernCY-5/919-
LettlandLV-5/1221-
LitauenLT-5/921-
LuxemburgLU381714
UngarnHU-5/1827-
MaltaMT-5/718-
NiederlandeNL-921-
ÖsterreichAT-10/132013
PolenPL-5/823-
PortugalPT-6/132313
RumänienRO-5/919-
SlowenienSI-5/9,522-
SlowakeiSK-1020-
FinnlandFI-10/1424-
SchwedenSE-6/1225-

Ist die Umsatzsteuer EU-diktiert oder Hoheitsgebiet der Staaten?

Diese Frage lässt sich nicht eindeutig mit ja oder nein beantworten. Wie bereits erwähnt, sind alle Staaten der Europäischen Union aufgrund der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) verpflichtet, sich an die Vorgaben von Brüssel zu halten. Jedoch gibt es sehr großzügige Möglichkeiten der Ausgestaltung im Hoheitsgebiet eines einzelnen Staates.

Es besteht die Möglichkeit den Regelsteuersatz selbst festzulegen und anzupassen, vorausgesetzt die vorgegebene Mindesthöhe wird nicht unterschritten. Ebenso kann im Rahmen der EU-Richtlinie ein zusätzlich ermäßigter Steuersatz auf bestimmte Waren und Dienstleistungen eingeführt werden.

Hiervon machen auch fast alle Staaten, mit Ausnahme von Dänemark, Gebrauch. Die konkrete Ausgestaltung der ermäßigten Steuersätze obliegt ebenfalls der Souveränität eines einzelnen Staates. Analog zum Regelsatz existiert hier lediglich die EU-Vorgabe eine Mindesthöhe von 5 Prozent nicht zu unterschreiten.

Sogar eine vollständige Steuerbefreiung oder die Bildung eines Nullsatzes (berechtigt trotz eines Steuersatzes von 0 Prozent weiterhin zum Vorsteuerabzug) ist mit der Richtlinie vereinbar. In Deutschland betrifft diese Sonderreglung allerdings nur den innergemeinschaftlichen und internationalen Luft-, See- und teilweise Binnenschiffsverkehr.

Europäische Steuersätze im internationalen Vergleich

Mehrwertsteuer bzw. VAT (Value Added Tax) Systeme sind in vielen außereuropäischen Ländern weit verbreitet, mit mehr oder weniger großen Unterschieden zum EU basierten Steuersystem. Häufig wird dabei auch auf vermeintlich lebenswichtige Produkte wie etwa die medizinische Versorgung ein ermäßigter Steuersatz verwendet.

Das Steuersystem in Australien „Goods and services tax (GST)“ ist unserem System sehr ähnlich. Der einheitliche Steuersatz liegt jedoch bei lediglich 10 Prozent. Die USA verwenden anstelle einer Mehrwertsteuer eine „Sales Tax“. Diese ist ebenfalls eine Steuer auf Waren und Dienstleistungen, wird aber erst ganz am Ende der Produktionskette auf den Nettopreis berechnet und vom Verkäufer an den Staat abgeführt.

Dies erscheint auf den ersten Blick recht einfach, bringt aber die Problematik mit sich, dass Du als Unternehmer bei jedem Wareneinkauf nachweisen musst, dass Du nur Zwischenhändler bist und kein Direktverkauf an den jeweiligen Endverbraucher vorliegt. Hinzu kommt weiterhin, dass jeder Bundesstaat seine eigene „Sales Tax“ festlegt.

Es existiert also kein einheitlicher Steuersatz. Staaten, die keine Steuern auf Waren und Dienstleistungen erheben, gibt es natürlich ebenfalls. Hierzu zählen beispielsweise im internationalen Handel eher unbedeutende „Steueroasen“ wie die britischen Überseegebiete Bermuda, Cayman Islands, die Turks- und Caicosinseln und die Britischen Jungferninseln.

Ausnahmen vom Regelsteuersatz

Alle EU-Länder haben die Möglichkeit einen reduzierten Steuersatz für Waren und Dienstleistung von besonders wichtigem öffentlichen Interesse zu erheben. Einige EU-Länder dürfen bestimmte Umsätze mit Sonder-Mehrwertsteuersätzen belegen, nämlich diejenigen Länder, die diese Sondersätze bereits am 1. Januar 1991 angewandt haben.

Es gibt drei Arten von Sondersätzen:

  • Stark ermäßigter Satz (Beispiel: Frankreich erhebt einen Steuersatz von 2,1% auf Medikamente, Presseartikel und Fernsehgebühren)

  • Nullsatz (bereits erwähnt, bietet Möglichkeit der 0 Prozent Besteuerung bei gleichzeitiger Berechtigung zum Vorsteuerabzug)

  • Zwischensatz (bietet nach der EU-Richtlinie die Möglichkeit, Waren geringer als mit dem Regelsteuersatz zu besteuern, obwohl ein ermäßigter Steuersatz nicht vorgesehen ist. Der Zwischensatz muss allerdings mindestens 12 Prozent betragen. Als Beispiel sei hier Belgien genannt, dass Energieerzeugnisse wie Braun- und Steinkohle mit 12 Prozent versteuert.)

Zweck von reduzierten Sätzen und Steuerbefreiungen

Der Gesetzgeber verfolgt die Absicht, den Erwerb von Gütern- und Dienstleistungen, die als besonders gesellschaftlich relevant gelten, nicht zu hoch zu besteuern und so den Verbraucher zu entlasten. Die gut gemeinte Intention führt im europäischen Kontext jedoch zu einer großen Heterogenität.

Letztendlich kocht jedes Land hier sein eigenes Süppchen. So existieren zahlreiche unterschiedliche Regelungen. Neben der stark differierenden Höhe der Regelsätze sind es vor allem die inhaltlich teilweise sehr unterschiedlichen Festlegungen der EU-Staaten, welche Waren und Dienstleistungen denn nun tatsächlich unter den ermäßigten Steuersatz zu fassen sind, die zu einer enormen Intransparenz im europäischen Mehrwertsteuersystem führen.

Ausgewählte europäische Beispiele

Raus aus der Theorie, rein in die Praxis. In Deutschland wurden Damenbinden bis Ende 2019 noch als „Luxusartikel“ eingestuft. Es galt der Regelsteuersatz von 19 Prozent. Kaviar wird dagegen mit 7 Prozent besteuert. Für die Körperhygiene mussten Frauen also bis vor kurzem mehr als doppelt so viel Steuern bezahlen wie Feinschmecker für Fischeier.

Im Juli 2015 senkte Frankreich die Steuer für Damenbinden bereits von 20 auf 5 Prozent. Und Großbritannien schaffte die Steuer auf Hygieneartikel zu Beginn des Jahres 2021 gleich in Gänze ab. Möglich macht es der Brexit, denn eine Besteuerung von weniger als 5 Prozent sind für Hygieneartikel gemäß der europäischeren Richtlinie aus Brüssel nicht vorgesehen.

Die Besteuerung von E-Books führte lange Zeit zu einem Rechtsstreit zwischen Frankreich, Luxemburg und der europäischen Union. Diese beiden Staaten führten diese bereits seit 2012 unter dem ermäßigten Steuersatz.

Der europäische Gerichtshof (EuGH) entschied jedoch, dass dieser nur für die Lieferung von Büchern auf physischen Trägern zulässig sei. Zwar würden die E-Books auf physischen Trägern gelesen, die Träger aber nicht gemeinsam mit dem elektronischen Buch ausgeliefert.

Aufgrund des allgemeinen Missmutes über diese Entscheidung sah sich die EU-Kommission jedoch gezwungen, ihre Richtlinie im Jahr 2018 in Bezug auf die steuerrechtliche Behandlung von E-Books anzupassen. Im Zuge dieser Änderung hat auch Deutschland im Jahre 2020 den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent für E-Books eingeführt.

Weitere Kuriositäten in Deutschland: Für den Kauf eines Kindersitzes fallen 19 Prozent an, für die Fahrt mit einem Ski-Lift 7 Prozent; Fruchtsäfte fallen unter den Regelsteuersatz, Hundefutter wird dagegen ermäßigt besteuert. Es herrscht das totale Chaos.

Import und Export von Gütern und Dienstleistungen

Grundsätzlich wird die Mehrwertsteuer in der EU in dem EU-Land erhoben und geschuldet, in dem die Waren vom Endverbraucher verbraucht werden. Analog dazu wird die Mehrwertsteuer in der EU auf Dienstleistungen zu dem Zeitpunkt erhoben, zu dem sie in einem EU-Land erbracht werden.

Das bedeutet, dass beim Export in ein anderes EU-Land keine Mehrwertsteuer berechnet wird, sofern der gewerbliche Abnehmer im Empfängerland eine Besteuerung mit dem Steuersatz des Ziellandes vornimmt (Bestimmungslandprinzip). Wenn Du also an einen französischen Unternehmer lieferst, zahlt dieser französische Mehrwertsteuer in Frankreich.

Dieser innergemeinschaftliche Erwerb ist zusätzlich an die Bedingung gebunden, dass auf der Rechnung sowohl die Umsatzsteueridentifikationsnummer (USt-IdNr.) des Exporteuers als auch die des Importeuers ausgewiesen werden muss. Es gibt allerdings eine Reihe von Ausnahmeregelungen, die von der grundsätzlichen Regelung abweichen.

Deutschland: Niedrigster Regelsatz in der EU?

Man hätte es vielleicht nicht gedacht, hat man als Unternehmer doch das Gefühl, dass einem der Staat an allen Ecken und Enden tief in die Tasche greift. Hinsichtlich der Mehrwertsteuer in der EU stellt man mit einem Blick auf die EU-Regelsätze jedoch schnell fest, dass Deutschland sich mit seinen 19 Prozent deutlich im unteren Drittel aller Mitgliedstaaten bewegt. Nur wirtschaftlich eher unbedeutende Länder wie Malta und Luxemburg weisen geringere Regelsätze aus.

Historische Entwicklung der MwSt. in Deutschland

Am Ende des Ersten Weltkrieges 1918 war Deutschlands Staatshaushalt tiefrot. Aufgrund der hohen Kriegsschulden wurde erstmals eine Mehrwertsteuer in Deutschland eingeführt. Sie startete mit 0,5 Prozent (da wird man ganz romantisch) und stieg nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Jahr 1951 auf 4 Prozent an.

Die damalige Umsatzsteuer besteuerte zwar genauso wie heute jede einzelne Produktionsstufe, doch war damals noch kein Vorsteuerabzug möglich. Dadurch sammelte sich beim Durchlaufen der Produktionskette immer mehr Steuer auf den einzelnen Produkten an.

Der große Nachteil der „Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer“ war die überproportionale Besteuerung von Produkten mit einer langen Produktionskette. Deshalb wurde 1968 die Allphasen-Brutto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug eingeführt. Dabei wurde der Steuersatz gleichzeitig auf 10 Prozent angehoben.

Durch die Steuerverrechnung wird nun in jeder Produktionsstufe nur noch der tatsächliche Mehrwert in der Produktionskette verrechnet, daher der Name Mehrwertsteuer. Von 1968 bis heute hat sich der Regelsteuersatz in Deutschland fast verdoppelt. Seit 2007 liegt er in Deutschland nun bei 19 Prozent.

Deutschland: Ausnahmen vom Regel-Mehrwertsteuersatz

In Deutschland unterliegen bestimmte Waren und Dienstleistungen einem ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent.

Beispiele für Waren, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen:

  • Leitungswasser

  • Lebensmittel mit einigen Ausnahmen, wie Luxusartikel, für die der Regelsteuersatz gilt.

  • Futter und Düngemittel

  • Bücher und Druckerzeugnisse

  • lebende Tiere

  • land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse

Beispiele für Dienstleistungen, die dem ermäßigten Steuersatz unterliegen:

  • Personenbeförderungsverkehr (z.B. Bus- und Bahntickets für den Nahverkehr.

Seit 01.01.2020 auch für den Fernverkehr der Deutschen Bahn)

  • Leistungen von Museen, Theatern, Schwimmbädern (unmittelbarer Verkauf von Tickets)

  • Restaurantleistungen „Take Away“ (nur für Nahrungsmittel zum Mitnehmen)

  • Leistungen für kurzfristige Beherbergungen (unmittelbare Leistung ist z.B. eine Übernachtung, ein Frühstück wird dagegen als Nebenleistung mit 19% besteuert)

Welcher Steuersatz für Umsatzsteuer gilt innerhalb der EU?

Wie bereits erwähnt, gibt Brüssel innerhalb der EU-Richtlinie einen Mindest-Regelsteuersatz von 15 Prozent vor. Zudem besteht die Möglichkeit, bestimmte in der Richtlinie aufgeführte Waren und Dienstleistungen mit einem ermäßigten Mindeststeuersatz von 5 Prozent zu führen. Eine einheitlich vorgeschriebene Umsatzsteuer existiert also nicht. Es gelten immer die konkreten Umsatzsteuerregelungen der an Waren- und Dienstleistungsgeschäften beteiligten Länder.

Das europäische Reverse Charge-Verfahren

Nach dem derzeit gültigen Umsatzsteuerrecht muss der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer von seinem Kunden einholen und an das Finanzamt abführen.

Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt das Reverse-Charge-Verfahren dar, das beispielsweise beim Handel mit „Sonstigen Leistungen“, also Leistungen, die keine Lieferung sind (z.B. Dienstleistungen oder Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen) angewendet wird. Dabei kehrt sich die Steuerschuld um.

Der Leistungsempfänger führt in diesem Fall die Umsatzsteuer ab. Folglich stellt der leistende Unternehmer seinem Kunden eine Nettorechnung aus, auf der er verpflichtend auf die Steuerschuldnerschaft des Empfängers hinweisen muss. Sofern der Empfänger seinerseits zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, kann er die abgeführte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend machen. Der Leistungsempfänger muss allerdings Unternehmer oder eine juristische Person öffentlichen Rechts sein.

Bei grenzüberschreitenden Geschäften muss der Empfänger zusätzlich eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer führen.

Für folgende Geschäfte wird das Reverse-Charge-Verfahren in Deutschland angewandt:

  • in Deutschland ausgeführte Werklieferungen eines Unternehmers, der im Ausland ansässig ist (§ 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG),

  • die Lieferung sicherungsübereigneter Gegenstände außerhalb des Insolvenzverfahrens (§ 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG),

  • Umsätze, die unter das Grunderwerbssteuergesetz fallen (§ 13b Abs. 2 Nr. 3 UStG),

  • Bauleistungen (§ 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG),

  • Das Reinigen von Gebäuden oder Gebäudeteilen (§ 13b Abs. 2 Nr. 8 UStG),

  • Lieferungen von Gold (§ 13b Abs. 2 Nr. 9 UStG),

  • Elektronikwaren-Lieferungen von Mobiltelefonen, Tablet-Computern, Spielekonsolen, Schaltkreisen usw. (§ 13b Abs. 2 Nr. 10 UStG).

Zu beachten ist jedoch, dass es im Einzelfall weitere Ausnahmen und Besonderheiten geben kann.

Welcher Steuersatz gilt im Austausch mit außereuropäischen Drittstaaten?

Hier gibt es leider keine einheitliche Regelung. Es bleibt nichts anders übrig, als sich vorab ausführlich mit den rechtlichen Vorgaben des jeweiligen Staates zu beschäftigen. Häufig besteht aber auch hier die Möglichkeit das oben beschriebene Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden.

Aktuelle Entwicklungen

Für das Jahr 2022 ist seitens der EU eine umfangreiche Reform der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) vorgesehen. Neben einem stärkeren Schutz vor Betrug, auf den viele der Vorschläge abzielen, soll die Reform zu einer Kosteneinsparung bei Unternehmen führen, indem Regelungen zur Vereinfachung der steuerrechtlichen Abwicklung von Lieferungen und Leistungen getroffen werden.

Die letzten zu beachtenden Gesetzesänderungen im deutschen Umsatzsteuerrecht wurden noch vor Beginn der Corona-Pandemie eingeführt (01.01.2020). Exemplarisch seien hier einige wichtige Änderungen aufgeführt

  • Durch das Gesetz zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht wurde der ermäßigte Steuersatz für den Bahnfernverkehr eingeführt.

  • Ebenso erfolgte Einführung des ermäßigten Steuersatzes für E-Books und Damen-Hygieneartikel

  • „Quick Fixes“ betreffen zahlreiche Neuregelungen für den innergemeinschaftlichen Lieferverkehr

Corona-Konjunkturpaket: Mehrwertsteuer-Senkung in Deutschland

Im Zuge des Corona-Konjunkturpaketes wurde die Mehrwertsteuersätze für den Zeitraum vom 01.07.2020 bis zu 31.12.2020 vorübergehend gesenkt (Regelsteuersatz von 19 auf 16 Prozent und ermäßigter Steuersatz von 7 auf 5 Prozent), um den Verbraucher zu entlasten und die Wirtschaft anzukurbeln.

Kaufentscheidungen sollten während der Pandemie nicht auf die lange Bank geschoben werden. Wenn dadurch die Kunden mehr kaufen (können), wird Dich als Unternehmer das erstmal freuen. Manch einer von uns trauert dem reduzierten Satz sicherlich hinterher. Aber eigentlich wissen wir, dass nicht der ermäßigte Satz als solcher, sondern vor allem die temporäre Reduktion die Umsätze erhöht hat.

Mehrwertsteuer in der EU - Vereinheitlichung nicht in Sicht

Abschließend lässt sich festhalten, dass Mehrwertsteuer-System in Deutschland zwar einem einfachen Grundprinzip folgt und dass der einzelne Unternehmer durch die Möglichkeit des Vorsteuerabzuges entlastet wird. Doch durch die komplizierte Gemengelage zwischen historisch gewachsenen Mehrwertsteuer-Strukturen der einzelnen Staaten sowie Rahmenbedingungen, die einerseits sinnvolle Anpassungen hemmen anderseits nicht konkret genug ausgestaltet sind, um eine einheitliche Steuerregelung innerhalb der EU herbeizuführen, ist auch in Zukunft mit viel Bürokratie und Kuriositäten im internationalen Warenverkehr zu rechnen.

Bleibt zu hoffen, dass die angekündigte Reform der Richtlinie wenigstens im Einzelfall zu Verbesserungen und Kostenersparnissen für alle Marktteilnehmer führt. Wünschenswert wäre es.

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